🇪🇺 4.300 km durch Europa – Interview mit Witali Bytschkow

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Witali Bytschkow ist in zwei Abschnitten 4.300 Kilometer durch Europa gewandert, den ersten Abschnitt (2.600 km) zusammen mit Freundin Svenja, den zweiten Abschnitt (1.700 km) alleine. In seinen Vorträgen zeigt er uns wunderschöne Aufnahmen von Landschaften, die in nicht allzu weiter Ferne liegen. Seine Zuschauer bekommen eine Anleitung, wie sie selbst solch eine Reise tätigen und organisieren können. Fragen, wie „Was wäre, wenn dir heute jemand sagt, dass du morgen nicht mehr arbeiten gehen musst und jeden Monat ein festes Einkommen bekommst?“ ließen ihn über die wahren Inhalte seiner Bucket List nachdenken – mit dem Resultat, dass er auch ohne festes Einkommen sein selbst gegründetes Unternehmen verließ und sein Ding durchzog. Jana hat ihn für euch interviewt!

Outdoorseite: Entsprechend des kurzen Selbstportraits auf deiner Website scheinst du schon so einiges ausprobiert zu haben: Da ist die Rede vom internationalen Maschinen-Handel, von Online-Handel (du nennst es liebevoll ‚verhökern’), es ging mal in Richtung Design und Agentur-Leben und du hast sogar eine Social Media-App im Silicon Valley gestartet. Auch wenn diese Aktivitäten sehr divers klingen, dann haben sie die unternehmerische Absicht gemein – wie würdest du also den Kosten-Nutzen-Faktor deiner Reisen bewerten?

Witali: Wenn wir in Kosten-Nutzen-Bewertungen denken, dann bin ich genau zur falschen Zeit losgegangen. Als Selbstständiger in Köln habe ich aktiv die Entscheidung getroffen, aus der Firma auszusteigen, die ich mit zwei Freunden gegründet hatte. Ich war Teil der Geschäftsführung und im operativen Geschäft tätig. Es war genau der Zeitpunkt, als es nach etwa vier Jahren anfing zu funktionieren: Wir konnten uns endlich ein Gehalt zahlen, wussten wohin wir wollten, mussten die eigene Wohnung nicht mehr auf Airbnb vermieten und deshalb bei Kumpels auf dem Sofa schlafen.

Im Büro arbeiten heute 15 Personen – damit habe ich schon etwas aufgebaut. Die weiteren Schritte im Unternehmen hätten wieder drei bis vier Jahre Arbeit gefordert, doch es gibt noch andere Sachen, die mich interessieren.

Ich führe meine Bucket List ganz pragmatsch in Excel. Da sind Dinge gelistet, die ich unbedingt einmal machen will, und alle paar Monate ändere ich die Prozentzahlen dahinter, die mit den Entwicklungsstatus widerspiegeln.

Nach der ersten Reise kam ich zurück, habe wieder in der Firma, ausgeholfen und mich gefragt: ‚Wie schaffe ich es, ein Leben zu führen, das nicht davon geprägt ist, jeden Tag zur Arbeit zu gehen, sondern von genau dem, was ich tun würde, wenn ich nicht arbeiten müsste. Was wäre das überhaupt?’ Natürlich muss ich arbeiten und Geld verdienen, aber wie sähen ganz hypothetisch meine Pläne aus? Was würde ich machen?

Und das versuche ich gerade sehr, sehr konsequent umzusetzen. Trotz des gewählten falschen Zeitpunkts bin ich absolut stolz und froh, meinem Gefühl gefolgt zu sein.

Witali Bytschkow
Witali und Svenja in Nordspanien: Eine Wandertour intensiviert jede Beziehung

Outdoorseite: Du hast in unseren Vorbereitungen auf das Interview gesagt, ‚Druck ist nicht gesund, Druck macht keinen Spaß’. Welcher Wert ist dir durch die Reise so richtig bewusst geworden? Sind es Freiheit und Selbstbestimmung oder steckt da noch mehr hinter?

Nimm dich nicht so wichtig!

Witali: Dadurch, dass ich fünf Monate weg war, dann wiederkam und alles noch beim Alten war, und dadurch, dass ich sehr viel über Wertvorstellungen nachgedacht und mit anderen diskutiert hatte – wie viel Wert messen wir uns selbst als Person bei? –, habe ich vor allem eins gelernt: Nimm dich nicht so wichtig!

Und das ist auch gut so. Wenn du checkst, dass sich die Welt immer noch weiterdreht, dass das Gras weiterwächst und dass die Leute immer noch weiter zur Arbeit fahren, dann bekommst du ein inneres Freiheitsgefühl und du erkennst, dass du unendlich viele Möglichkeiten hast.

Witali Bytschkow
Lüneburg im Wald

Outdoorseite: „Lieber gemacht als perfekt gedacht“ lese ich außerdem in deinem Selbstportrait. Was genau ist es, das Leute – zum Beispiel die, die in deinen Vorträgen sitzen – lieber direkt machen sollten, anstatt nur darüber zu philosophieren?

Witali: Ich probiere Dinge immer gerne aus. Die Reise ist entstanden, als ich meine Freundin Svenja kennenlernte. Bei unserem dritten Date waren wir wandern. Daraus sind dann drei Wander-Wochenenden entlang des Römerkanalwegs bei Köln in Richtung Eifel geworden. Wir haben gemerkt, wie viel Spaß es macht und wie gut man sich dabei kennenlernen kann.

Wie wäre es, wenn …?

Als wir uns sagten „Wir wollen so eine Reise mal machen!“, haben wir verschiedene Sachen dann angefangen auszuprobieren: Wir haben im Wald gezeltet, waren kurze und lange Strecken wandern, haben verschieden Vorträge besucht, um das Feeling zu bekommen. Wie wäre es, wenn …?

Nordspanien: Die Berge dort sind ganz schön hoch!

Outdoorseite: Bei solch einer Reise ist ja bekanntlich der Weg das Ziel. Die Phrase hin oder her, aber jetzt mal ehrlich: War es nicht zeitweise kalt, klamm, unbequem, usselig und du hättest am liebsten alles hingeschmissen und dich in den nächsten ICE nach Hause gesetzt?

Witali: Bei der ersten Reise mit meiner Freundin schon. Wir sind im Winter durch die Berge von Nordspanien gelaufen – und die Berge dort sind ziemlich hoch. Teilweise lag da schon Schnee. Einmal war meine Nase gebrochen und ich musste ins Krankenhaus.

Willst du weit gehen, geh zu zweit, willst du schnell gehen, geh allein

Das Schöne am gemeinsamen Reisen ist, dass wir uns abgewechselt haben, den anderen zu motivieren. Wir hatten ein ziemlich gutes Timing: Wenn der eine down und platt war, dann hatte der andere ganz viel Energie und teilte diese, oder anders herum. Willst du weit gehen, geh zu zweit, willst du schnell gehen, geh allein – das habe ich dort wirklich gespürt.

Bei der zweiten Reise, als ich alleine gegangen bin, um explizit herauszufinden, wie es ist, alleine zu reisen, da bin ich durch Schweden im Oktober gelaufen. Das war schon tough, es war eine schwere Strecke, es hat geregnet und war windig und die Blasen an den Füßen schmerzten entsetzlich. Da musste ich mir wirklich vor Augen halten, dass ich schon einmal eine noch längere Reise gemacht hatte, und ich muss mich viel selbst motivieren.

Im Dovrefjell–Sunndalsfjella National Park geht es über Stock und Stein
Im Dovrefjell–Sunndalsfjella National Park geht es über Stock und Stein

Outdoorseite: Deine Freundin Svenja hat dich begleitet, dabei wart ihr erst ein Jahr zusammen als es losging. Wie wirkt sich solch eine Reise, solch eine Erfahrung, auf eine so frische Beziehung aus?

Witali: Dass ich bei unserem ersten Date gesagt habe: „Es wäre cool, einmal 100 Tage am Stück zusammen zu laufen. Dann weiß man, ob man gut zusammen passt oder nicht,“ – das war eher aus Jux! Aber irgendwie verharrte der Gedanke im Kopf. Bis wir endlich losgegangen sind, sind allerdings noch einige Monate verstrichen.

Dennoch: Es ist eine Sache, die ganz schnell zeigt: Entweder es hält oder nicht.

Anderen würde ich empfehlen, ähnlich wie wir, mit ein paar kurzen Wanderungen und Trips zu beginnen und nicht zu überstürzen.

Ich kenne viele Pärchen, die fairerweise sagen: „Bei uns würde das niemals  funktionieren!“ Dann lasst es bitte! Es ist eine absolute Zerreisprobe, daher sollte man sich vorher die Fragen ehrlich beantworten: „Macht es Sinn?“ und „Will ich das überhaupt?“

Norwegen: Essen gibt's draußen – bei jedem Wetter!
Norwegen: Essen gibt’s draußen – bei jedem Wetter!

Outdoorseite: Ohne schon viel von den Inhalten deiner Vorträge vorweg zu nehmen – gestatte mir bitte eine Frage: Welches war die ergreifendste und einprägsamste Begegnung unterwegs?

Witali: Das ist ganz schwer zu sagen. Es gab auf den Reisen natürlich viele Leute und Ereignisse, die wirklich einprägsam waren.

Zusammenfassend hat sich bei mir vor allem eine Sache manifestiert, die nicht an einer Person oder einem Ereignis auszumachen ist: Ich war sieben Monate lang unterwegs und mir ist nicht einmal etwas Schlechtes widerfahren. Alle Leute waren nett und sehr hilfsbereit. Einmal, des Nachts, in der Nähe von Hannover, hatte ich jemanden versehentlich im Wald verschreckt. Die Situation konnten wir auflösen und er hat mich später sogar in seinem Gartenhaus schlafen lassen. Dass die Nase in Spanien gebrochen war, lag auch nur an einem unglücklichen Ausrutscher und Aufprall am Heizkörper im Hotel.

Schweden: Kurz nach dem Aufstehen
Schweden: Kurz nach dem Aufstehen

Outdoorseite: Du hast Länder innerhalb von Europa als Ziel deiner Reise gewählt. Doch könnten nicht Länder wie Peru, Australien, Südafrika oder die Mongolei viel spannender sein? Oder vielleicht Russland, wo du geboren wurdest?

Witali: Ja, vielleicht. Interkontinental war ich früher schon viel gereist, in Europa hingegen noch nicht so viel. Und das wollte ich ändern. Das war Punkt eins.

Punkt zwei war die Sicherheit, die hier wesentlich höher ist, als beispielsweise in Chile, wo ich noch vor wenigen Wochen war.

Und der dritte Punkt sind die so gut ausgebauten Wanderwege mit ausreichender Beschilderung. Gerade in Spanien, Frankreich und Portugal gibt es außerdem viele günstige Herbergen für Wanderer und Pilger.

Das Schönste aber war: Freunde und Familie konnten dazu kommen. Mein Cousin, Svenjas Cousin und meine Eltern haben uns beispielsweise für einige Tage begleitet. Das geht in Peru nicht so einfach.

Unterwegs trifft man auf andere Wanderer (Schweden)
Unterwegs trifft man auf andere Wanderer (Schweden)

Outdoorseite: Wie sieht deine Zukunft aus?

Witali: Die Reise hat mich schon sehr angefixt, daher überlege ich, die Tour komplett um Europa herum zu machen. Von Portugal über Nordafrika, Italien, Griechenland und Mazedonien hoch zum Nordkap, schließlich würde ich die Runde über Schottland abschließen.

Das soll eine Lebensaufgabe sein

Das soll nicht morgen beginnen, das soll auch nicht an einem Stück passieren – das soll eine Lebensaufgabe sein.

Zelten am Strand (Schweden)
Zelten am Strand (Schweden)

Outdoorseite: Du wirst uns in deinem Vortrag eine Art Reise-Anleitung geben – würdest du jedem empfehlen, solch eine Reise zu machen?

Witali: Ich würde das wohl eher in verschiedenen Intensitäten empfehlen. Wirklich lange unterwegs zu sein bedeutet auch, dass es anstrengend und mit vielen Schmerzen verbunden sein kann. Da ist es kalt und man bekommt nachts im Wald ziemliche Angst.

Wem das zu viel ist und wer sich doch die sicherere Variante wünscht, der kann die Dauer einfach verkürzen und ab und an in Hotels übernachten anstatt ausschließlich zu zelten. Wege, wie der spanische oder der portugiesische Jakobsweg, können fast alle wandern.

Reisevortrag von Witali Bytschkow in Aachen

Das Lagerfeuer – dieses Mal in Dänemark
Das Lagerfeuer – dieses Mal in Dänemark

Tickets für den Vortrag in Aachen am 16.03.2019 um 18.30 Uhr bekommt ihr auf Witalis Website. Der Vortrag findet statt im RWTH Hauptgebäude (Templergraben 55). Ticketpreis 13 € VVK / 16 € AK.

Eine Übersicht, wann und wo weitere Vorträge stattfinden, findet ihr hier.

Hinweis
Die Schreiberlinge der Outdoorseite werden als Dankeschön für das Interview zum Vortrag eingeladen. Diese Kostenübernahme ändert selbstverständlich nichts an der neutralen Interviewgestaltung. Ein Honorar wurde nicht gezahlt.

Alle Fotos von Witali Bytschkow.

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